Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Festakts „100 Jahre staatlicher Naturschutz“

am 30. Mai 2006 in Bonn


Sehr geehrter Herr Prof. Vogtmann,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Bundesminister Gabriel,
liebe Kollegen Töpfer und Trittin, wenn ich das in alter Verbundenheit so sagen darf,
meine Damen und Herren,
Frau Oberbürgermeisterin,
Herr Weinzierl,

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen.“ Mit diesen Worten erhebt unser Grundgesetz in Artikel 20a Umwelt- und Naturschutz in den Rang eines Staatsziels. Das war eine intensive, wichtige und zum Schluss erfolgreiche Debatte. Diese Bestimmung hat im Herbst 1994 endlich Eingang in das Grundgesetz gefunden. Das Grundgesetz legte damit erstmals auf Verfassungsebene für ganz Deutschland fest, dass Naturschutz eine staatliche Aufgabe ist. Sie bedarf natürlich der Obhut anderer. Sie braucht die Gestaltungskraft des Staates.

Das ist 12 Jahre her, aber der Gedanke des staatlichen Naturschutzes ist viel älter, genau genommen 100 Jahre alt. Wir feiern heute 100 Jahre staatlichen Naturschutz. Man kann darauf stolz sein, dass das eine so lange Periode ist, und dennoch ist sie kurz im Hinblick auf die Entwicklung der Menschheit. Heute ist vielleicht der Zeitpunkt gekommen, einmal all denen zu danken, die sich unermüdlich für den Naturschutz einsetzen. Es sind – es ist schon gesagt worden – sehr häufig ehrenamtliche Mitarbeiter, aber auch hauptamtliche. Hinter dem Engagement steckt viel Leidenschaft, und die ist auch nötig; denn es sind oft dicke Bretter zu bohren. Viele Naturschützer wissen auch, dass sie häufig mit Argwohn beobachtet werden, als etwas illusorisch-visionäre Leute gelten, die ab und an nicht die richtige Nähe zum praktischen Leben haben. All das müssen Naturschützer aushalten. Allerdings muss ich sagen: Sie haben auch gelernt, ganz gut damit zu leben.

Ich habe mich übrigens, lieber Jürgen Rüttgers, als es gerade um die Alleen ging, an meine erste Bewerbung als Bundestagsabgeordnete mit zwei Gegenkandidaten auf der Insel Rügen erinnert. Im Jahre 1990 war die wichtigste Frage, die man dort stellte: Frau Merkel, wir haben ein Problem; wir werden bald alle ein Auto haben und wollen auf ordentlichen Straßen fahren, aber wie wollen Sie es schaffen, uns dann noch unsere Alleen zu erhalten? – Ich hatte, ehrlich gesagt, bis dahin nie über diese Frage nachgedacht, hatte aber schon eine Ahnung, dass Straßenausbau nur mit einer bestimmten Mindestbreite der Straße möglich ist, was aber vielleicht mit den Alleen in Konflikt kommen könnte. Ich habe jedenfalls einfach schnell gesagt: Wir nehmen ein Stück Feld, bauen die zweite Straßenseite dort und pflanzen noch eine Allee. – Dazu ist es zwar im Allgemeinen nicht gekommen, aber die Alleen auf Rügen sind wenigstens erhalten geblieben. Und wir leisten gerne Patenschaft, wenn es in Nordrhein-Westfalen weiterhin schwierig sein sollte, ähnliche Probleme zu meistern.

Meine Damen und Herren,

den Gründervätern des Naturschutzes ging es um die Erhaltung einzelner Natur-Denkmäler. Dann kam der Schutz seltener Tier- und Pflanzenarten hinzu. Heute geht es um die Erhaltung der biologischen Vielfalt insgesamt. Letztlich arbeiten wir heute an einer weltweit nachhaltigen Entwicklung. Angefangen hat staatlicher Naturschutz in Deutschland nicht an einem Punkt, sondern an mehreren; hier sind heute schon einige genannt worden. Es wäre vielleicht interessant, sich noch einmal die Geschichte und die Entwicklung der Menschheit zu vergegenwärtigen. Am Anfang hat man mit vielen Mühen versucht, sich die Natur Untertan zu machen. Dann kam die Industrialisierung, und plötzlich ist den Menschen klar geworden, dass die Natur geschützt werden muss, weil der Mensch dazu in der Lage war, sie selbst zu vernichten, und das eigentlich nicht wollte.

Dafür gibt es Beispiele. Ich möchte das der Lüneburger Heide nennen, deren Schutz auf eine Initiative vor fast 100 Jahren zurückging, oder die Initiative des „Bund Naturschutz in Bayern e.V.“ im Jahre 1916 zum Schutz des Gebiets um den Königssee. Das Naturschutzgebiet Königssee bildete dann die Basis für den 1976 eingerichteten Nationalpark Berchtesgaden. Das ist also eine lange Geschichte.

Immer wieder hat sich gezeigt: Es war das Engagement Einzelner, das zum Erfolg geführt hat. Ohne dieses Engagement wäre z. B. auch das bedeutendste deutsche Wildnisgebiet nicht möglich gewesen, der Nationalpark Bayerischer Wald. Noch ich hatte damit zu kämpfen, dass mir Landräte ausrichteten: Falls ich einmal in den Bayerischen Wald kommen wollte, dürfte ich auf keinen Fall mit dem Hubschrauber in ihrem Landkreis landen. Sie haben das als eine sehr komplizierte Angelegenheit angesehen. Die Ministerpräsidenten in Bayern haben allerdings auch immer dazu gestanden.

Der bayerische Staatsminister Hans Eisenmann hatte in den 70er-Jahren den Mut, auf erhebliche Erlöse aus der Forstwirtschaft zu verzichten, damit die Wildnisvision des Nationalparkverwalters Hans Biebelriether in der Natur Realität wurde. Daran hat auch der heutige Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Hubert Weinzierl, maßgeblich mitgewirkt. Er hat einmal gesagt: „Nationalparks sind die Schatzkammern unserer Heimat.“ Dem kann ich nur zustimmen.

Deshalb möchte auch ich hier noch einmal einen kurzen Blick auf das Nationalparkprogramm der letzten, bereits demokratisch gewählten DDR-Regierung werfen. Michael Succow und sein Mitarbeiterstab nutzten kurz vor der deutschen Einheit buchstäblich die letzten Stunden, um den Erhalt der wertvollsten Naturgebiete der neuen Länder für uns und unsere Nachwelt zu sichern. Klaus Töpfer hat damals intensiv Beistand geleistet, und daraus ist etwas sehr Wichtiges geworden. Ich möchte in dieser Stunde auch an Professor Wolfgang Engelhardt erinnern, der vor einem Monat im Alter von 83 Jahren verstorben ist und der über 50 Jahre lang den Umwelt- und Naturschutz in Deutschland ganz maßgeblich mitgeprägt hat. Er hat dabei auch immer den staatlichen Umweltschutz vorangetrieben. Ein herausragender Beleg dafür ist sein konzeptioneller Beitrag zur Gründung des Bayerischen Umweltministeriums Anfang der 70er-Jahre – des ersten Umweltministeriums weltweit.

Ich könnte die Reihe verdienter Frauen und Männer natürlich noch fortsetzen, aber ich danke einfach noch einmal allen, die sich in Institutionen für den Schutz der Natur einsetzen, und ich danke allen, die auch weiterhin daran arbeiten, Naturgüter heute und für die Zukunft zu sichern. Das sind natürlich nicht zuletzt die mehr als 5 Millionen Menschen – das muss man sich einmal vor Augen führen –, die sich in Deutschland in verschiedener Art und Weise für den Naturschutz engagieren.

Unser Land verfügt neben seinen kulturellen Schätzen über ein wirklich reiches Naturerbe. Unsere Aufgabe heißt und unser Wille muss sein, dieses Erbe für künftige Generationen zu bewahren. Deshalb ist Naturschutz auch kein Luxus, sondern Naturschutz muss zentraler Bestandteil der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für unsere Gesellschaft, unsere Kinder und unsere Nachkommen sein; und er ist es auch.

Die Sicherung des nationalen Naturerbes – Bundesminister Gabriel hat darauf hingewiesen – ist ein wichtiges Anliegen der jetzigen Bundesregierung. CDU, CSU und SPD haben in der Koalitionsvereinbarung festgelegt – das ging ausnahmsweise ganz schnell –, dass 80.000 ha bis 125.000 ha gesamtstaatlich repräsentative Naturschutzflächen des Bundes unentgeltlich in eine Bundesstiftung eingebracht oder an die Länder übertragen werden. Das ist ein Geschenk in der Größenordnung von etwa zehn Nationalparks. Ich finde, das kann sich sehen lassen.

Wir waren seit Amtsbeginn dieser Regierung auch nicht tatenlos. Seit Dezember letzten Jahres stehen potenziell geeignete Flächen von hohem naturschutzfachlichen Wert nicht mehr zum Verkauf; das ist gestoppt worden. 100.000 ha an Bundesliegenschaften, die bereits heute nicht mehr genutzt werden, sollen sofort übertragen werden. Weitere 25.000 ha gegenwärtig noch genutzter Flächen werden später übertragen. Das heißt, die Spannbreite, die in der Koalitionsvereinbarung festgelegt worden war, wird voll ausgenutzt.

Meine Damen und Herren,

wir sind, glaube ich, gemeinsam der Überzeugung: Unser vielfältiges Naturerbe ist Teil des Reichtums unseres Landes. Viele besonders schutzwürdige Gebiete befinden sich im Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Kaum jemand, der diese Grenze in ihrer Brutalität erfahren hat, hätte wohl einst daran geglaubt, dass das gleiche Gebiet heute einzigartigen Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen bietet. Ich finde, dies ist ein wunderschönes Bild für jeden, der mit der Grenze zu tun hatte, ob auf der West- oder auf der Ostseite; und es ist mehr als ein Symbol. Es ist in der Tat ein emotionales Erlebnis, dass aus lebensfeindlichen Grenzgebieten ein grünes Band wird, das uns in Deutschland verbindet – Ost und West, von der Ostseeküste bis zum Bayerischen Wald.

Ich sehe die Länder natürlich als zukünftige Träger, die sich jetzt schon sehr intensiv an der Bestimmung des nationalen Naturerbes beteiligen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt – sie begeht übrigens heute ihr 15. Jubiläum, und ich möchte an dieser Stelle auch herzlich gratulieren –, wird ebenfalls als Trägerin des nationalen Naturerbes auftreten. – Die Stiftung hat einen Beifall verdient. – Auch viele andere Naturschutzstiftungen werden ihren Beitrag zur Sicherung des nationalen Naturerbes leisten. Das zeigt, dass Naturschutz bei uns sehr vielfältig verankert ist, und das soll auch so bleiben.

Naturschutz und Wirtschaft – das waren und sind von Zeit zu Zeit Konfliktfelder. Aber es wird auch deutlich, dass Naturschutz zunehmend zu einem Wirtschaftsfaktor wird. Wir sehen das bei den Nationalparks, bei den Biosphärenreservaten und Naturparks. Diese nehmen inzwischen rund 25 % der Fläche Deutschlands ein. In strukturschwachen Gebieten sind diese Biosphärenreservate, Naturparks und Nationalparks Grundlage für einen florierenden Tourismus. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, dass der vermeintliche Widerspruch zwischen Naturschutz und Wirtschaft durchaus überwunden werden kann. Wir müssen die breite Akzeptanz der Großschutzgebiete in Deutschland nutzen, und deshalb unterstützt die Bundesregierung die Dachmarke „Nationale Naturlandschaften“, denn wir wollen mit diesem gemeinsamen Auftritt der Großschutzgebiete deren gesamte Wertschätzung auch stärken.

Dies sollte bald, so denke ich, auch für das europäische Netz „Natura 2000“ gilt. Die dafür notwendige Auswahl von Schutzgebieten hat in den vergangenen Jahren zu viel Verunsicherung geführt. Jeder, der lokal tätig ist, weiß das. Nachdem „Natura-2000“-Gebiete an die Europäische Kommission gemeldet worden sind, muss nun die konkrete Umsetzung vor Ort von den Ländern realisiert werden. Es gibt darüber viele Diskussionen, aber es wird jetzt auch Planungssicherheit geben. Das halte ich für sehr wichtig. Ich glaube, bei der Ausweisung der Gebiete gilt durchaus auch die Aufforderung, Augenmaß zu halten. Was mir sehr wichtig ist, ist, dass Private in geeigneten Fällen künftig stärker als Partner für den Naturschutz gewonnen werden sollten. Wo dies sinnvoll ist, sollte der Schutz von Lebensräumen daher durch kooperative Lösungen sichergestellt werden. Und hierzu gehört für mich insbesondere der Vertragsnaturschutz. Naturschutz gegen die Mehrheit der Menschen zu betreiben, ist schwierig. Ich glaube, es sollte nicht angestrebt werden. Wo immer möglich, sollten wir kooperative Lösungen finden.

Der Bund hat bei der Ausweisung von Schutzgebieten für das europäische Netz auch eine eigenständige Verantwortung, nämlich dort, wo es um die Bereiche der Nord- und Ostsee außerhalb der Küstengewässer geht. Damit trägt der Bund auch zum Aufbau eines internationalen Netzes von Meeresschutzgebieten bei. Auch hier sind kooperative Lösungen zu bevorzugen. Deshalb unterstützt das Bundesumweltministerium auch Vereinbarungen mit Anglern für besondere Meeresschutzgebiete. Ich halte das für einen wichtigen und richtigen Weg.

Ich sage allerdings auch, dass Naturschutz ganz ohne Widerstand wahrscheinlich auch nicht gelingt. Alle Projekte, über die ich heute hier gesprochen habe, ob sie 100, 50, 30 oder 20 Jahre zurückliegen, haben immer auch zu Widersprüchen geführt. Wir sollten uns der Diskussion stellen, damit sich nicht Fronten aufbauen, die wir dann schwer überwinden können.

Ich glaube, genauso wertvoll wie die Naturlandschaften ist die biologische Vielfalt. Sie ist ein Schatz und eine riesige Verantwortung. Wir müssen es schaffen – ich weiß, wovon ich spreche und dass dies ein sehr dickes Brett ist, das zu bohren ist –, den Rückgang der biologischen Vielfalt in Deutschland deutlich zu verringern. Das ist zwar keine positive Botschaft, den Rückgang zu verringern. Aber selbst das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Da die biologischen Kenntnisse in Deutschland nicht so weit ausgeprägt sind, fällt es vielen nicht auf, welche Verarmung dieser Rückgang an Reichtum bedeutet. Wenn wir eines Tages – vielleicht schon stärker in ein paar Jahren – über die Frage nachdenken, wie Menschen sich schützen können, dann wird die biologische Vielfalt in ihrer Bedeutung mit Sicherheit – davon bin ich ziemlich überzeugt – zunehmen.

Deutschland hat sich auf dem Gipfel für nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg genau zu diesem Ziel verpflichtet. Wir haben als Fernziel, dass eines Tages die biologische Vielfalt wieder zunehmen kann. Aber das ist, wie gesagt, ein sehr anspruchsvolles Ziel.

Wir müssen uns natürlich fragen, wie wir Schutz und Nutzung von biologischer Vielfalt besser miteinander in Einklang bringen können. Denn es geht nicht nur um Arten- und Biotopschutz, sondern auch um eine nachhaltige wirtschaftliche Nutzung der natürlichen Ressourcen, und zwar nicht nur der unter Schutz gestellten Ressourcen, sondern der gesamten Ressourcen.

Der Schutz der biologischen Vielfalt und die Wirtschaft profitieren voneinander. Ich habe es am Beispiel der Schutzgebiete gesagt. Aber wir wissen auch, dass die Erhaltung der Lebensgemeinschaften in Meeren und Gewässern die wirtschaftliche Grundlage für eine nachhaltige Fischerei und den Erhalt von Arbeitsplätzen in diesem Bereich bietet. Wer sich einmal mit der Frage der Fische und der Meere befasst, der bekommt allergrößte Sorgen über das, was sich abspielt. Es zeigt sich, dass wir uns auch unserer eigenen Lebensgrundlagen berauben, wenn wir hier nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung kommen. Deshalb sind wir als Bundesregierung in der Europäischen Union auch sehr stark engagiert, wenn es um die bestandserhaltende Fischerei geht.

Biologische Vielfalt – auch das wird manchmal übersehen – ist allerdings auch eine wichtige Basis für Forschung, Entwicklung und technische Innovationen. In der Grundlagen- und in der medizinischen Forschung sind verschiedene Tiere und Pflanzen unersetzlich. Die Lepraforschung kann z. B. nur am Gürteltier durchgeführt werden. Es ist das einzige Tier – jedenfalls das einzig bekannte –, das an Lepra erkranken kann. Wir alle wissen, dass Lepra eine Krankheit ist, mit der wir auch heute noch in vielen Entwicklungsländern zu kämpfen haben.

Die Natur hat über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg die unterschiedlichsten Fragestellungen in Form von optimalen Lösungen beantwortet. Das ist faszinierend und kann in vielen technischen Bereichen auch genutzt werden. Die Bionik ist eine Wissenschaft, die sich genau diese natürlichen Erfolge zu Nutze macht.

Wenn man sich einmal anschaut, welchen Energiewirkungsgrad ein Glühwürmchen hat, nämlich 99 %, dann träumt jeder Kraftwerksbetreiber davon. Bei den mickrigen Wirkungsgraden, die wir heute haben – bei Glühbirnen sind es 25 %; bei Kohlekraftwerken ist man stolz, wenn man 43 % erreicht –, dann kann ich nur sagen: Wir können noch eine Menge von der Natur lernen. Wenn man sich heute den Schiffsbau anschaut, dann hat man hier von den Delphin-Schnauzen gelernt. Man sollte sich auch immer wieder anschauen, wie sich die Stabilität von bestimmten Gestängen an der Stabilität von Halmen orientiert. Das sollte uns die Ehrfurcht und die Demut vor den Erfolgen der Natur immer wieder vor Augen führen. Der Mensch kann von der Natur vieles lernen, wenn er sie sich nicht selbst kaputtmacht.

Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist als Aufgabe allerdings nicht nur beim Bundesamt für Naturschutz oder beim Umweltminister angesiedelt. Hier sind Querschnittstätigkeiten gefragt. Das heißt, auch der Bauminister, der Verkehrsminister, der Land- und der Forschungsminister müssen hier tätig werden. Deshalb gibt es heute auch so viele Querschnittsministerien, wenn ich etwa an den Zuschnitt in Nordrhein-Westfalen denke. Jagd und Fischerei, Energieerzeugung – das alles sind Ressorts und Bereiche, die ihren Beitrag zum Naturschutz leisten müssen.

Wenn ich allein an die Frage des Bauens denke, dann hat mich immer sehr die Tatsache beeindruckt, dass wir im Schnitt jeden Tag immer noch mehr als 100 Hektar neue Fläche für Siedlung und Verkehr in Anspruch nehmen. Wir haben uns vorgenommen, das bis zum Jahr 2020 auf 30 Hektar zu reduzieren. Welche städteplanerischen und gestalterischen Aufgaben darin liegen, wie viele Architekten man beschäftigen kann, um angenehmen Lebensraum zu schaffen und trotzdem diese Versiegelung unseres Landes zu stoppen, das kann man sich vorstellen. Ich meine, von 100 Hektar, die wir jeden Tag zersiedeln, auf 30 Hektar zu kommen, bedeutet erst einmal ein massives Umdenken. Aber gleichzeitig zeigen diese 100 Hektar auch, dass wir noch immer sehr bedenkenlos mit unseren Ballungsgebieten und ihrer Ausweitung umgehen. Das ist auf Dauer ein Problem. Man muss das ja nur hochrechnen.

Meine Damen und Herren,

ohne Klimaschutz ist die Erhaltung der Biodiversität undenkbar. Der schon erwähnte Professor Engelhardt hat uns immer so eindrücklich von geringen Temperaturunterschieden und dem Sterben der Korallenriffe berichtet. Wenn wir sonst nicht an den Klimaschutz und an den Klimawandel glauben wollten, war das aber immer ein ganz prägnantes Beispiel für das Problem. Jedenfalls ist es mir so in Erinnerung geblieben. Wir müssen deshalb an dieser Stelle die verschiedenen Umweltübereinkommen zusammenbringen.

Die Frage des Klimaschutzes kann, wenn sie nicht vernünftig bearbeitet wird – Deutschland ist da allerdings zusammen mit der Europäischen Union sehr engagiert –, dazu führen, dass ein Drittel der heute lebenden Arten bis zum Ende des Jahrhunderts aussterben wird. Das heißt, die Erwärmung ist nicht nur ein theoretisches Phänomen, sondern sie hat ganz praktische Auswirkungen, und zwar nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Bereichen und Gebieten dieser Erde.

Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt betont vor allen Dingen das Recht der ärmeren Länder auf nachhaltige Entwicklung. Deshalb ist es eine große Aufgabe unserer Zeit, das Potenzial von Entwicklungsländern mit unserem technologischen Know-how, dem Know-how von Industrieländern, auszustatten.

Wer sich einmal anschaut, wozu die Entwicklungen jetzt in China führen, wo Klimaschutz und Umweltschutz eine Zeit lang nicht so beachtet wurden, der sieht, mit welchem Bedarf jetzt nach technischen Lösungen gesucht wird. Ich glaube, Professor Töpfer kann besser als jeder andere darüber berichten, wie entscheidend es ist, ob man auf dem Entwicklungsfaden der Entwicklungsländer, gerade in Afrika, die richtigen technischen Lösungen findet und dafür frühzeitig etwas tut.

Da bei uns oft gefragt wird, ob es denn sinnvoll sei, dass Deutschland gerade beim Klimaschutz so voranschreitet und wir uns, obwohl wir einen relativ geringen Anteil an den CO2-Emissionen auf der Welt haben, so anstrengen, diese zu reduzieren, sage ich: Es geht hier nicht nur um den absoluten Betrag, sondern es geht vor allen Dingen darum, die technischen Möglichkeiten für die Reduktion von CO2 zu schaffen und zu entwickeln.

Diese Aufgabe haben wir nach meiner festen Überzeugung als hoch entwickeltes Land auf der Welt. Diese Aufgabe wird sich nach meiner weiteren festen Überzeugung in den nächsten Jahren als ein wirtschaftlicher Vorteil erweisen. Hier gehen wieder Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung in einer guten Weise zusammen. Deutschland hat schon viel von diesem Zusammenspiel profitiert. Das sollte man in all den Diskussionen immer wieder benennen.

Es ist schön, dass Deutschland die nächste Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt im Jahr 2008 als Gastgeber leiten wird. Diese Vertragsstaatenkonferenz zur biologischen Vielfalt ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten. Sie kann sich oft nicht so expressiv darstellen, wie das beim Klimaschutz der Fall ist. Dieser ist fassbarer; die biologische Vielfalt ist für viele nicht so greifbar. Aber sie ist von unschätzbarem Wert und hat unglaublich viel mit der Frage zu tun, wie sich das Zusammenleben von Industrie- und Entwicklungsländern in Zukunft gestalten wird.

Wer einmal die Sorgen und Ängste der Entwicklungsländer erfahren hat, wie man Raubbau an ihrer Natur betreibt – technisch kann man ihnen ja noch nichts stehlen; aber man kann sozusagen ihre Natur kaputtmachen –, der weiß, welche Verkrampfungen, Verstimmungen und auch Verspannungen das im weltweiten Zusammenleben bedeuten kann.

Wenn wir uns dann an anderer Stelle mit außenpolitischen Fragen, mit der Frage des Verständnisses von Entwicklungs- und Schwellenländern für die friedenserhaltenden Maßnahmen und anderen Dingen auseinandersetzen, dann kann ich nur sagen: Eine gute Kooperation in diesen Vertragsstaatenkonferenzen ist die Grundlage dafür, auch in ganz anderen Bereichen ein gemeinsames Verständnis für die Welt zu entwickeln. Deshalb messe ich dem weit über den eigentlichen Umweltbereich hinaus sehr große Bedeutung zu, zumal das Verhältnis in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu der eigenen Natur oft mindestens so emotional wie bei uns zu Hause ist.

Also, meine Damen und Herren, vom Siebengebirge oder der Lüneburger Heide nach 100 Jahren zu einem Gedankengang zu kommen, der die ganze Welt einbezieht, das ist eine gute Grundlage dafür, weitere 100 Jahre nicht über Aufgabenmangel klagen zu müssen. Das Bundesamt für Naturschutz und all diejenigen, die sich ehrenamtlich einsetzen, werden viele engagierte Jahre vor sich haben. Ich sage Ihnen noch einmal herzlichen Dank und wünsche allen, die sich für den Naturschutz engagieren, alles Gute.


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