Stellungnahme BUND Kreisgruppe Braunschweig
An die Ratsfraktionen
11.01.2021
Beschluss zur Machbarkeitsstudie für ein interkommunales Gewerbegebiet Autobahnkreuz Wolfsburg/Königslutter am Elm (A2/A39)
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den kommenden Sitzungen des Wirtschafts- und Verwaltungsausschusses sowie der Ratssitzung soll ein Beschluss für eine Machbarkeitsstudie zum interkommunalen Gewerbegebiet Autobahnkreuz Wolfsburg/Königslutter am Elm (A2/A39) erfolgen. Der BUND fordert alle Fraktionen auf, die Beschlussvorlage zur Machbarkeitsstudie abzulehnen und das Thema zuerst von der Abteilung Klimaschutz unter dem Aspekt der Klimarelevanz beurteilen zu lassen. Dazu gehört auch eine detaillierte, vergleichende Bewertung der verschiedenen im KOREG (Konzept regionalbedeutsamer Gewerbestandorte) identifizierten Potenzialflächen in der Region in Hinblick auf Klima- und Naturschutz.
Der Bau eines Gewerbegebiets an einer Autobahn fordert in erster Linie den Straßen-, insbesondere den LKW-Verkehr. Es besteht weder eine Bahnanbindung als Voraussetzung für einen umweltverträglichen Gütertransport noch eine Anbindung an den ÖPNV. Aufgrund der isolierten Lage wird dies auch nur durch großen Aufwand einzurichten sein. Die Anfahrt mit dem PKW zum Arbeitsplatz sowie der Gütertransport per LKW werden so quasi festgeschrieben.
Dies steht im krassen Widerspruch zu den Bestrebungen der Stadt Braunschweig, Gewerbe und Wohnen wieder stärker zu vernetzen, um Verkehre zu reduzieren. Auch im KOREG wird als ein Kriterium folgendes genannt: „Es gilt das Prinzip der kurzen Wege. Durch den prioritären Anschluss an vorhandene Siedlungsräume werden Verkehrsvermeidungsstrategien gestützt und bauliche Maßnahmen für die Infrastruktur minimiert.“
Pikanterweise werden die entsprechenden CO2-Emissionen gemäß der aktuellen Bewertungsmatrix auch nicht in die Bilanz der Stadt Braunschweig eingehen, während andererseits von dem Gewerbegebiet profitiert werden soll.
Mit Klimaschutz und Verkehrswende hat das nichts zu tun!
Die betroffene Fläche umfasst landwirtschaftlich genutzte Wiesen mit vielfältigen Heckenstrukturen und den typischen Tier- und Pflanzenarten. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Wiesen und Weiden in Europa derzeit Kohlenstoffsenken darstellen; auch dies verbietet eine Umwandlung dieser Flächen.
Darüber hinaus umfassen die derzeitigen Planungen Flächen im Naturpark Elm/Lappwald und bedrohen den einzigartigen Naturraum des Schunter-Scheppau Talsystems mit seinen wertvollen Laubwäldern, Mooren und reich gegliederten Ackerfluren. Von dem Großgewerbegebiet wären mindestens zehn europäische Schutzgebiete, die sogenannten Flora-Fauna-Habitatgebiete (FFH-Gebiete), unmittelbar und mittelbar betroffen! Nicht umsonst lautet die Festlegung im RROP 2008 „Vorrangfläche für Landwirtschaft, Natur und Landschaft sowie Erholung“.
Im Planungsraum wurden zudem in den vergangenen Jahrzehnten gezielt Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu Verkehrsprojekten (BAB 2 und 39, Weddeler Schleife) verwirklicht, um dauerhaft die Zerstörung und Zerschneidung von Lebensräumen durch aufwertende Ausgestaltung von Flachen auszugleichen oder zu ersetzen. Ziel war stets die bessere Vernetzung der verschiedenen Schutzgebiete. Die z. T. fast vollständige Umschließung solcher (Ausgleichs- / Ersatz-)Biotope führt zum Verlust ihrer Vernetzungsfunktion und beschneidet auch die Entwicklungsmöglichkeiten auf den Flächen selbst.
Im KOREG wird festgestellt, dass das Flächenpotenzial für Gewerbegebiete in der Region (Stand 2020) netto 1545 ha betragt. Davon sind 61 % bereits in einem FNP für gewerblich-industrielle Nutzung vorgesehen und würden ausreichen, um den prognostizierten Bedarf bis 2035 (918 – 1068 ha) zu decken. Dargestellt wird außerdem, dass der Trend zu kleineren Flächen mit einem Schwerpunkt bei 2000 – 6000 m2 geht. Eine Ausnahme sind Flächen für Logistik, wobei hier aber eine sinkende Nachfrage gezeigt wird.
Vor diesem Hintergrund ist zu hinterfragen, ob die Inanspruchnahme einer derart wertvollen Fläche wie am Kreuz A2/A39 zu rechtfertigen ist.
Bei allen Betrachtungen muss jedoch das übergeordnete Ziel sein, die Inanspruchnahme immer neuer Flächen und die Zerstörung von Böden zu beenden. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung und der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen fordern spätestens zum Jahr 2050 die Inanspruchnahme neuer Flächen auf null zu reduzieren. Dies soll keinesfalls durch reservierenden Flächenfraß in der Gegenwart erreicht werden, sondern bedarf neuer Konzepte.
Die Pressemitteilung auf der Internetseite der Stadt Braunschweig bietet nur einen oberflächlichen Einblick in die positiv und auf den ersten Blick schlüssig dargestellten Potenziale, enthält aber keinerlei Transparenz über die negativen Auswirkungen geschweige denn eine vergleichende Betrachtung. Eine Zustimmung, ohne diese jedoch zu kennen, kann zu einem unumkehrbaren Schaden am Klima und Natur führen.
Ein „ökologisch“ ausgerichtetes Gewerbegebiet wird versprochen. Aber was heißt das? Es werden viele ha Fläche neu versiegelt, der Boden unwiederbringlich zerstört, durch den Umbruch der Wiesen jede Menge CO2 freigesetzt, dazu Baumaterialien wie Beton – hergestellt mit hohem Energieaufwand und CO2-Freisetzung – verwendet (oder sollen die Gebäude aus Naturmaterialien gebaut werden?) und viel Verkehr erzeugt. Und alles das soll mit einer Begrünung der Restfläche und der Gebäude sowie der geplanten Nutzung regenerativer Energien ausgeglichen werden? Solch „ökologische“ Gewerbegebiete kann man modellhaft auch dort einrichten, wo ohnehin neue Gebiete entstehen, z. B. im Baugebiet Wenden-West.
Auch an diesem Beschluss wird sich zeigen, wer es in Braunschweig ernst mit dem Klimaschutz und dem Schutz der kommenden Generationen meint und wer nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Eva Goclik (BUND Braunschweig, Vorsitzende)
Zur Kenntnis an:
Umweltdezernent Herrn Herlitschke
Leiter des Fachbereichs Umwelt Herrn Gekeler
FFF
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