Kreisgruppe Helmstedt

Stellungnahme Fridays For Future

Offener Brief zur Planung und Umsetzung eines Gewerbe­gebiets am Auto­bahn­kreuz Wolfsburg-Königslutter

Braunschweig, 16.12.2020

Sehr geehrte Frau Steinbrügge, sehr geehrter Herr Markurth, sehr geehrter Herr Mohrs, sehr geehrter Herr Radeck, sehr geehrter Herr Hoppe, sehr geehrter Herr Kaatz, liebe Kreis-, Stadt- und Gemeinde­rats­mitglieder,

wir wenden uns an Sie, weil die Planung und Umsetzung eines Gewerbe­gebiets am Auto­bahn­kreuz Wolfsburg-Königslutter den Klima­schutz sehr betrifft.

Raum­planung hat immer am Begriff der Nachhaltig­keit ausgerichtet zu sein. Dazu gehören die soziale, die wirtschaft­liche und die ökologische Nachhaltig­keit. Der Erhalt der natür­lichen Lebens­grundlagen ist, insbesondere wegen der Klima­krise, die größte Heraus­forderung im 21. Jahrhundert.

Die von Fridays For Future Deutschland in Auftrag gegebene Studie des Wuppertal-Instituts zeigt, dass Klima­neutralität bis 2035 in den Bereichen Energie, Industrie, Verkehr und Gebäude prinzipiell noch möglich ist. Allerdings sind die dafür nötigen Anstrengungen groß – und wenn wir noch ein Jahr warten, bis wir handeln, schaffen wir es nicht, unter 1,5 Grad Erderwärmung zu bleiben.

Das hieße, dass – zusätzlich zu den schon jetzt spürbaren und schlimmer werdenden Wetter­extremen – mit hoher Wahrscheinlich­keit unumkehrbare Kipp­punkte über­schritten würden, darunter das komplette Verschwinden wertvoller Ökosysteme und das Abschmelzen der Festland­gletscher. Zurzeit sieht es so aus, dass sich die Erde, wenn alle Staaten ihre Klima­ziele genau erreichen würden, um über 3 °C erwärmen würde.

Die Verkehrs­wende ist ein integraler Bestandteil der notwendigen Klima­wende. Dabei ist es notwendig sowohl Personen- als auch Güter­verkehr zum einen zu reduzieren und zum anderen auf die schon jetzt klima­freundlichen Verkehrs­träger zu verlagern. Nur darauf zu setzten, Pkw und Lkw zu elektrifizieren, wird nicht ausreichen, das Pariser Klima­abkommen einzuhalten.

Die Planung eines auto­fokussierten Gewerbe­gebiets wider­spricht dieser Einsicht fundamental.

Es ist klar, dass dieses Gewerbe­gebiet seine Wege­beziehungen haupt­sächlich mit Wolfsburg, Braunschweig, Königslutter und anderen Orten wie Lehre ausbilden würde. Die Entfernungen zu jedem dieser Orte sind zu groß, als dass sie zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurück­gelegt werden würden. Auch wäre das Einrichten von entsprechenden attraktiven ÖPNV-Verbindungen mit so hohen laufenden Kosten verbunden, dass eine akzeptable Umsetzung nicht zu erwarten ist. Wegen der ohnehin perfekten Autobahn-Anbindung würde fast jede*r mit eigenem Pkw diesen zum Pendeln verwenden. Das Gewerbe­gebiet liegt zudem so ungünstig, dass die Strecken unnötig in die Länge gezogen werden, was dem Ziel der Verkehrs­reduktion wider­spricht. In Niedersachsen gibt es noch kein Gewerbe­gebiet dieser Größen­ordnung, das so auto­abhängig ist.

Der Güter­verkehr würde voraus­sichtlich komplett per Lkw abgewickelt werden, da das Gewerbe­gebiet wahr­scheinlich keinen Bahn­anschluss besitzen würde. Außerdem würde die Ansiedlung von neuen Lkw-Logistik-Unternehmen zusätzlichen Lkw-Verkehr hervorrufen.

Lkw-Transport ist fünf mal klima­schädlicher als der Verkehr auf der Schiene. Selbst bei regenerativ betriebenen Lkw wäre der Energie­bedarf immer noch deutlich höher als beim Güterzug. Sogar die Bundes­regierung hat erkannt, dass sich deshalb der Anteil des Schienen­verkehrs am Güter­verkehr drastisch erhöhen muss.

Zukunfts­fähige Gewerbe­gebiete dürfen deshalb keines­falls abhängig von der Güter­versorgung über Lkw sein, sondern müssen an das Schienen­netz angeschlossen sein.

Zusätzlich zur ausbleibenden Verkehrs­wende würde das Klima durch den zu erwartenden groß­flächigen Einsatz von Zement und Stahl beeinträchtigt – Stahl wird heut­zutage noch äußerst klima­schädlich produziert; für Zement sind zurzeit nicht einmal CO2-neutrale Herstellungs­verfahren bekannt.

Für die lokale Natur­schutz­perspektive können wir uns nur den bestehenden Stellung­nahmen der Umwelt­verbände anschließen. Wir möchten an dieser Stelle noch kurz die soziale und die ökonomische Nachhaltig­keit beleuchten.

Die Autofo­kussiertheit des Gewerbe­gebiets benachteiligt bewusst Menschen ohne eigenen Pkw. Dadurch werden Angestellte dazu genötigt, sich ein Auto anzuschaffen und zu betreiben, was mit hohen Kosten verbunden ist und insbesondere geringeren Einkommen nicht ohne weiteres aufgebürdet werden darf. Aber auch ohne finanzielle Sorgen entscheiden sich immer mehr junge Menschen bewusst gegen das Auto, was unter anderem aus Sicht des Klima­schutzes eine sehr positive Entwicklung ist. Dieses Gewerbe­gebiet wäre mit diesem Trend nicht vereinbar: Es würde ihn auf der einen Seite fataler­weise ausbremsen, auf der anderen Seite aber auch selber ausgebremst werden, weil es von immer weniger Menschen erreicht werden könnte. Damit wäre ein solches Gewerbe­gebiet sozial ungerecht, nicht inklusiv und kaum zukunfts­sicher.

Sogar die lang­fristige Wirtschaft­lich­keit des geplanten Gewerbe­gebietes ist fraglich. Da im Rahmen der Bekämpfung der Klimakrise Maßnahmen zur Begünstigung von klima­freundlichen Transport­methoden zu erwarten sind, ist es fraglich, ob auch in Zukunft in diesem Maße Lkw-abhängige Gewerbe­flächen nach­gefragt werden. Dieser Effekt wird durch die kosten­intensive Umstellung auf klima­freundlichere Lösungen im Lkw-Transport verstärkt werden.

In Zeiten des dringend notwendigen Umstiegs auf Elektro-Mobilität werden in der Automobil­industrie Zulieferer­ketten wegfallen. Ziel sollte es sein, die dabei frei werdenden Flächen effizient zu nutzen, um die Versiegelung von weiteren Natur­flächen zu vermeiden. Innovative Unternehmen mit sicheren Zukunfts­perspektiven legen zudem zunehmend Wert auf klima­freundliches Handeln, weswegen sie sich in einem Gewerbe­gebiet ohne gute klima­freundliche Anbindung wahrschein­lich nicht ansiedeln werden. Es ist also zu bezweifeln, dass die geplanten Gewerbe­flächen tatsächlich mit zukunfts­sicheren Unter­nehmen besetzt werden.

Zusammen­gefasst: Ein Gewerbe­gebiet am Auto­bahn­kreuz Wolfsburg-Königslutter wirkt der Verkehrs­wende entgegen und ist somit keines­falls mit den Zielen des Pariser Klima­abkommens vereinbar. Dieses Gewerbe­gebiet wäre die bisher krasseste Ausprägung autofo­kussierter, klima­schädlicher und auch anderweitig nicht-nachhaltiger Planung in der Region.

Im Studium der Stadt- und Verkehrs­planung an Universitäten und Hoch­schulen werden ein integrativer Ansatz und insbesondere der Aspekt der Nach­haltig­keit betont. Aktuelle Leitbilder der Stadt­planung sind Nutzungs­mischung und die Stadt der kurzen Wege. Beiden steht die Planung dieses Gewerbe­gebietes komplett entgegen. Baugebiete auf der grünen Wiese sind also nicht nur aus Klima­perspektive irrsinnig, sondern auch aus fach­licher Sicht nicht zeitgemäß. Ansiedlung von Gewerbe, zu der Kommunen aufgrund des aktuellen Gewerbe­steuer­modells quasi gezwungen werden, sollte statt­dessen, wenn überhaupt, in inner­städtischen Misch­gebieten oder als behutsame Stadt­erweiterung entlang von Bahn­strecken stattfinden.

Regionale Zusammen­arbeit hätte eigentlich die Aufgabe, Zersiedelung wie diese beispiels­weise mithilfe von Ausgleichs­zahlungen zu verhindern, und damit den schäd­lichen Wettbewerb der Kommunen nach Gewerbe­flächen zu beenden. Hier hat die inter­kommunale Zusammen­arbeit bisher genau das Gegen­teil bewirkt und somit versagt.

Wir bitten Sie, die Planung zu diesem Gewerbe­gebiet zu verwerfen. Im Angesicht der Klima­krise wäre es unverant­wortlich, sie umzusetzen. Wir benötigen eine umfassende Klimawende und damit eine zügige Verkehrs­wende, um das 1,5-Grad-Ziel noch einhalten zu können. Ein Handeln ist jetzt auf allen Ebenen nötig, um die Klima­krise und ihre Auswirkungen noch zu begrenzen.

Mit freundlichen Grüßen

Die Fridays for Future Ortsgruppe Braunschweig
Die Fridays for Future Ortsgruppe Helmstedt
Die Fridays for Future Ortsgruppe Gifhorn
Die Fridays for Future Ortsgruppe Peine
Die Fridays for Future Ortsgruppe Wolfenbüttel
Die Fridays for Future Ortsgruppe Wolfsburg