Kreisgruppe Helmstedt

Einführungskommentar

Was ist los im niedersächsischen Wald?

Sägen kreischen rund ums Jahr. Großmaschinen fahren in Abständen von zwanzig Metern tiefe Rinnen in die markierten Rückeschneisen und türmen riesige Berge Nadel- und Laubholz an die Forststraßen, die nicht selten über Wochen für Spaziergänger und Wanderer unpassierbar werden.

In den alten Buchenwäldern ist seit Ende der 90er Jahre der Teufel los, so scheint es. Innerhalb weniger Jahre werden große Flächen genutzt. Aufgerissene, zerfleddert wirkende Reste bleiben stehen, mit beginnender oder fortgeschrittener Wipfeldürre. Holzstapel ohne Ende an den Wegen.

In den Eichenwäldern sieht es nicht anders aus. Was seit vielen Jahren nicht mehr zu sehen war, wird wieder zum gewohnten Bild: Der Kahlschlag. Teilweise Kahlschlag an Kahlschlag, kaschiert durch eine Galerie von verbliebenen Bäumen.

Brennholztage, ausgerufen von den Förstern, heizen die Stimmung auch bei denen an, die bis dahin nicht auf die Idee gekommen wären, sich eine Motorsäge, Schnittschutzhosen, Autoanhänger und Kamin zu kaufen. Mit Kind und Kegel wird das Happening lustvoll inszeniert, wird der Wald zum Holzhof, auf dem gleich buchstäblich Kleinholz gemacht wird.

Schon macht berittene Polizei Jagd auf Brennholzdiebe und Schlagzeilen in der Presse, die wiederum sich freut, einmal über etwas anderes als über das tägliche Allerlei zu berichten.

Alles kein Problem, so beruhigen die Funktionsbeamten für Waldinformation den verunsicherten Bürger, der seinen Augen kaum traut und vandalistische Züge in diesem Treiben wahrnimmt.

Es wachse mehr Holz zu, als in Niedersachsens Wäldern geerntet werde. Das alles gehöre zur nachhaltigen forstwirtschaftlichen Nutzung des Waldes. Die Nutzung von Holz als nachwachsender Rohstoff löse Zukunftsprobleme, wirke der Klimaerwärmung entgegen, und im Übrigen seien die verbleibenden wipfeldürren und absterbenden Altbäume, die nicht abgehackt werden, wertvolle Glieder des Waldes - als Nahrung und Wohnung zahlloser Tiere und Pflanzen. „Totholz ist voller Leben“.

„Wald in guten Händen“ und „Wald gewinnt“, so die frohe Botschaft und alles künftig auf wirtschaftlicher Basis, sozusagen sich selbst tragend. Schluss mit der Investition in den Wald. Holzwirtschaft hat künftig eine schwarze Null zu erwirtschaften, so die Vorgabe an die neu gegründete „Anstalt Niedersächsische Landesforsten“ mit Sitz in Braunschweig. Sie soll ab 1. Januar 2005 das ermöglichen, was in Jahrzehnten des Bestehens der alten Landesforstverwaltung nicht gelungen schien: Einen Wald zu organisieren, der sich selbst wirtschaftlich, das heißt langzeitökonomisch trägt. Möglichst nach kurzer Übergangsfrist unter Einbeziehung seiner gesetzlich zu erbringenden Schutz- und Erholungsfunktionen soll das geschehen. Wald gewinnt eben, und die Förster sind die Garanten dafür, dass man dieser Botschaft blind vertrauen kann. Haben sie doch in den Augen der Bevölkerung einen ungeheuren Vertrauensbonus, gelten Förster doch nostalgisch verklärt und dank Forsthaus Falkenau bis heute als die omnipotenten Alleskönner des Waldes.

Doch irgendetwas stimmt da offenbar nicht!

In den letzten Monaten wächst das Unbehagen der Bevölkerung spürbar. Was in den Wäldern mit eigenen Augen und Verstand wahrgenommen wird und als Verkündung der heilen Waldwelt in der Lokalpresse erscheint, driftet immer rascher auseinander, gewinnt immer mehr hässliche Züge an immer mehr Orten des Landes.

Waren es zunächst besorgte Bürger, die bei den Naturschutzverbänden hinterfragten, was sie draußen in den Wäldern persönlich erlebt und empfunden hatten, sind es nun zunehmend Forstleute aller beruflichen Ebenen und Laufbahnen, die ihre innere Zerrissenheit zwischen ihrem waldbaulichen Empfinden und ihren Dienstanweisungen als immer größer werdende Last spüren. Die trotz Zeiten des Umbruchs und der persönlichen Verunsicherung ihren Beruf nach wie vor als Berufung ausüben. Die sich nicht damit abfinden, dass generationenaltes forstliches Handwerk und gute fachliche Praxis nichts mehr gelten sollen, bei aller Einsicht in notwendige Weiterentwicklungen. Sie erhoffen sich Hilfe von der Bevölkerung und deren unabhängigen Nichtregierungsorganisationen.

Wie reagiert der BUND?

In den Naturschutzverbänden Deutschlands herrscht seit langem eine kritische Distanz zum Weg der Forstwirtschaft des letzten Jahrzehntes. Das liegt auch daran, dass viele Forstleute in den Verbänden tätig sind und Einblick hinter die oftmals komplexen Zusammenhänge haben. Waldbesitzerverbände und Forstverwaltungen trafen keinesfalls immer den Punkt einer nachhaltigen und ökologisch verträglichen Forstwirtschaft, hinter den sich die Verbände vorbehaltlos stellen konnten. Die Fehler der jüngeren Vergangenheit sind Legion. Immerhin legten großartige Forstmänner wie die ehemaligen Waldbaureferenten Walter Kremser und Hans-Jürgen Otto bereits 1972 in Niedersachsen den Grundstein einer langfristig ökologischen Waldentwicklung. Er wurde als das LÖWE-Programm ab 1994 auf dem Erlasswege verbindlich für die Landesforstverwaltung in Niedersachsen eingeführt und war wegweisend für alle Landesforstverwaltungen Deutschlands. Die Halbwertzeit für Langfristigkeit beträgt, so scheint es heute, möglicherweise nur etwa zehn Jahre. 2004 wurde LÖWE in seinen zentralen Teilen durch Herabstufung von Nutzungsaltern und Zieldurchmessern bei einigen Laubwaldtypen offenbar den kurzzeitökonomischen Absichten einer „schwarzen Null“ angepasst, wurden Kahlschläge in Eichenwäldern aus „waldtechnischen Gründen“ wieder erlaubt.

Um es aber auch zu sagen: Der BUND Niedersachsen stand und steht vorbehaltlos hinter dem LÖWE-Programm von OTTO und KREMSER. Mit dem ehemaligen Landwirtschaftsminister UWE BARTELS und seiner Landesforstverwaltung fanden jährlich gemeinsame Besuche in den Forstämtern des Landes statt. Es gab einen fruchtbaren Dialog.

Naturschutzverbände sind aber keine Feigenblätter für einen möglicherweise dramatischen Rückschritt in Sachen langfristiger ökologischer Waldbehandlung in Niedersachsen.

Der BUND wird sich deshalb bei aller konstruktiven Zusammenarbeit (wo immer das möglich und dem Wald dienlich ist) offensiv in eine landesweite öffentliche Diskussion begeben, wenn die langfristigen ökologischen Entwicklungsziele in Gefahr geraten.

Das Maß der Dinge ist keine schwarze Null, sondern das, was der Wald in seiner Nutz-, Schutz- und Erholfunktion nachhaltig zu leisten vermag. Dieses Maß bestimmen die Natur und die Gesellschaft - kein Politiker, kein Minister, kein Anstaltsleiter und kein Forstamtsleiter. Dieses Maß ist im Niedersächsischen Gesetz über den Wald und die Landschaftsordnung und im geltenden Naturschutzrecht bestimmt und in keiner Zielvereinbarung. Jeder Beamte des Landes, auch jeder Forstbeamte, hat die Pflicht, in seinem Dienst Bedenken vorzubringen, wenn er geltendes Recht oder Schutzgüter in Gefahr sieht und dazu beizutragen, dass Achtung und Vertrauen, das immer noch durch eine große Mehrheit der meist uninformierten Bürger den Sachwaltern des Waldes entgegen gebracht wird, keinen irreparablen Schaden nehmen.

Wie wird der BUND die Diskussion führen?

Zunächst kommt es darauf an festzustellen, in welchem landesweiten Umfang die Kernprobleme auftreten und wie sie zu gewichten sind. Nicht jeder zerfahrene Waldweg und schmutzige Wanderschuh ist gleich ein Drama. Nicht jeder genutzte alte Baum führt zum ökologischen Zusammenbruch der Wälder. Das optisch Sichtbare ist oftmals nicht annähernd so schädlich wie verdeckte Entwicklungen, die der Nichtforstmann meist nicht erkennen kann. Es gilt also, die Problemanalyse zu objektivieren.

Werden die alten Wälder durch zu schnelle und zu große Eingriffe langfristig destabilisiert?

Welche Folgewirkungen hat die Bodenverdichtung durch Ernte- und Rückemaschinen auf über 25% der Waldbodenfläche bei einem Rückebetrieb, der keine Rücksicht mehr auf Witterungsverläufe und Jahreszeiten nimmt?

In welchem Umfang wird die langfristige optimale Wertschöpfung des Waldes durch die Herabsetzung des so genannten Zieldurchmessers (bei dessen Erreichung der reife Baum geerntet wird) gekappt?

Wie wirkt sich das Verschwinden der wirklich alten Wälder auf die Lebensvielfalt aus?

Wie werden die europäischen Waldschutzgebiete künftig behandelt?

Wie schadet die Intensivierung der Brennholznutzung dem Ökosystem, und wie vermindert sich die Funktion der Wälder als Kohlenstoffsenke?

Diesen und noch vielen anderen Fragen wird sich der BUND nähern, bevor er zu einem abgewogenen Urteil kommt.

Das wird 2006 geschehen. Es sind daher folgende Schritte geplant:

  1. In einem Dossier werden die bereits erkennbaren Problempunkte aufgelistet und der Landesregierung sowie dem Niedersächsischen Landtag zugeleitet. Hierzu wird im Vorlauf eine Erörterung mit der Anstalt Niedersächsische Landesforsten stattfinden.
  2. Wir richten an die aktiven Naturschützer in den Verbänden vor Ort und auch an die Forstfachleute die Bitte, uns aus ihrer Sicht über den Zustand der Wälder in Niedersachsen und Vorkommnisse im Rahmen der Holznutzung Berichte zu machen. Diese werden absolut diskret behandelt. Es geht um die Gewichtung der Probleme und nicht um den einzelnen Fall. Trotzdem müssen Ort, Zeitpunkt und Sachverhaltsschilderung so genau wie möglich sein. Nur so kann ein sachgerechtes Bild entstehen. Wichtig zur Dokumentation und ggf. Beweisführung sind Fotos.
  3. Der BUND Helmstedt wird landesweit abrufbar eine Reihe von Merkblättern entwickeln und Zug um Zug ins Internet stellen. Diese Merkblätter werden einzelne Problembereiche aufbereiten, Begriffe erläutern und Rechtsquellen nennen. Ziel ist es, Bürger und Vertreter der Medien in die Lage zu versetzen, sich Kenntnisse anzueignen und vor Ort die richtigen Fragen zu stellen.
  4. Durch weitere Links werden weitere Informationsquellen zur Verfügung gestellt.
  5. Besondere Vorkommnisse wie grobe Ordnungswidrigkeiten und Straftaten können ein schnelles Handeln erfordern. Hier wird der BUND ohne zögern tätig werden, wenn irreparabler Schaden droht.
  6. Jährlich wird der BUND einen zusammenfassenden Sachstandsbericht zur Situation der Wälder in Niedersachsen herausgeben und offizielle Informationen kommentieren.
  7. FFH- und Vogelschutzgebiete erfahren eine besondere Aufmerksamkeit. Es darf nicht sein, dass europäisches Naturschutzrecht ignoriert oder aufgeweicht wird.