Kreisgruppe Helmstedt

Positionspapier Wald des BUND Niedersachsen zu den Niedersächsischen Landesforsten – 2007

Wald bedeckt mit rund 1 Million Hektar 22 % der Landesfläche Niedersachsens.

Mit 330 000 Hektar ist knapp ein Drittel davon landeseigener Wald. Er ist Eigentum der Bevölkerung des Landes Niedersachsens.

Deshalb ist es richtig, wenn nicht nur Politik, Fachwelt und Wissenschaft den Diskurs über die zukünftige Entwicklung des Landeswaldes führen, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem breit gefächerten gesellschaftlichen Wissen, ihren ethischen Empfindungen und konkreten ökonomischen Ansprüchen an diejenigen Institutionen des Staates, die stellvertretend für sie handeln.

Der Wald als der vielleicht vielgestaltigste Lebensraum in Niedersachsen ist unterschiedlichen Nutzungsansprüchen unterworfen. Nicht alle dieser Ansprüche sind gut für eine notwendige künftige Entwicklung hin zu einem naturnahen Ökosystem mit seinen Wechselwirkungen auf die gesamte Landschaft des Landes.

Deshalb begleitet der BUND die Waldpolitik in Niedersachsen seit Jahrzehnten konstruktiv mit dem Ziel, die handelnden Institutionen und Akteure überall dort zu unterstützen, wo sie die naturnahen Leitbilder konsequent umsetzen und Gefahren für eine nachhaltige Waldentwicklung abwehren.

Der BUND zeigt in diesem Rahmen möglichst frühzeitig negative Entwicklungen auf, mit ihren Ursachen und langfristigen Folgewirkungen. Er macht sie für die Bevölkerung transparent, damit sie sich an den Prozessen beteiligen und ein eigenes Meinungsbild entwickeln kann.

Der BUND versteht sich jedoch nicht nur als Sprachrohr der Allgemeinheit. Als ein großer Naturschutzverband Deutschlands und Europas steht ihm der ökologische und spezielle forstfachliche Sachverstand seiner Mitglieder zur Verfügung, der ihn in die Lage versetzt, Entwicklungen aus anderen Perspektiven heraus zu beurteilen und zu einem Diskurs zu führen, als das innerhalb der dienst- und interessengebundenen Einrichtungen des Staates möglich ist.

Der BUND Niedersachsen wirkt als NGO im Rahmen der deutschen und internationalen Vereinbarungen und Prozesse zum Schutz der Wälder mit und muss somit keine eigenen grundsätzlichen Positionen entwickeln. Er konzentriert sich vielmehr auf die Umsetzung der vereinbarten Leitlinien in seinem Wirkungsbereich.

Am 14. Oktober 2005 fand ein Kontaktgespräch zwischen den Herren Niedersächsischer Minister für den ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Hans-Heinrich Ehlen, Staatssekretär Gert Lindemann und dem BUND-Landesverband Niedersachsen statt.

In diesem Gespräch hat der BUND bekräftigt, dass er die Regierungserklärung von 1991 zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung (LÖWE) weiterhin als eine geeignete Grundlage für eine nachhaltige Forstwirtschaft im Sinne der guten fachlichen Praxis in den Landeswäldern betrachtet.

Ebenso hat er begrüßt, dass die Landesregierung die Ziele und Grundsätze des LÖWE auch für die Zukunft zur verbindlichen Handlungsgrundlage für den Landeswald gemacht hat.

Der BUND hat aber auch seine Sorge zum Ausdruck gebracht, dass vor allem auf Grund kurzfristiger vermeintlicher Zwänge die verbindlichen LÖWE-Grundsätze verwässert, teilweise missachtet und außer Kraft gesetzt werden. Die in den LÖWE-Grundsätzen angelegte Langfristigkeit waldbaulichen Handelns werde zunehmend zugunsten einer kurzzeitökonomischen Sichtweise zurückgefahren. Das nach außen gezeichnete Bild einer glänzenden ökonomischen und ökologischen Entwicklung sei ein geschöntes Bild und verdecke die zunehmenden Probleme im Landeswald. Die potenzielle Gefahr langfristiger Folgeschäden für die Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion der Wälder werde in ihrer tatsächlichen Dimension nicht erkannt oder verdrängt. Erkannte Defizite führten nur zeitverschoben und teilweise halbherzig zu Kurskorrekturen. Eine frühzeitige und tabufreie Lückenanalyse, auch durch externe Institutionen, sei erforderlich. Das bisher positive Erscheinungsbild und die gute Reputation der Landesforsten in der Öffentlichkeit nehme bei Fortdauer dieser Entwicklungstendenzen Schaden.

Der Bitte des Ministers, die Bedenken zu konkretisieren und einzubringen, kommt der BUND nunmehr nach. Zu diesem Zweck wurde auf der Datenbasis bis Ende 2005 eine Lückenanalyse durchgeführt. Die Analyse umfasst zunächst Schwerpunktfelder. Sie soll zu einem kontinuierlich zu verbessernden Instrument für eine möglichst objektive Bewertung weiterentwickelt werden. Von ihr sollen Impulse für eine forstpolitische Standortbetrachtung, als auch für eine breite öffentliche Diskussion ausgehen.

Waldentwicklung in den Niedersächsischen Landesforsten

Zusammenfassung

  1. Das Gesetz über den Wald und die Landschaftsordnung (NWaldLG) vom 21. März 2002 präzisiert im § 11 (2) die besonderen Merkmale einer ordnungsgemäßen Forstwirtschaft. Verbot oder Minimierung von Kahlschlägen gehören nicht dazu. Auch in die Kahlschlagbeschränkungen des § 12 ist kein Minimierungsgebot eingezogen worden. Viele Bundesländer haben wesentlich einschränkendere Regelungen getroffen oder ein Kahlschlagverbot ausgesprochen. Eine Definition der guten fachlichen Praxis als anwendungsorientierte Ausformung der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft, wie sie in der Landwirtschaft längst zur Verfügung steht, gibt es nicht.
  2. Mit den Zielen und Grundsätzen des Langfristigen Ökologischen Waldentwicklungsprogramms (LÖWE) in den Landesforsten von 1991 war Niedersachsen anderen Bundesländern weit voraus. Dieser Vorsprung ist dahin. Durch die Zurücknahme des Konkretisierungsgrades ministerieller Bestimmungen, die Unbestimmtheit neu eingeführter Definitionen und die Einführung grundsätzlich schädlicher Waldbautechniken, wie z.B. des Kahlschlages als Regelform für die Verjüngung von Eichenwäldern, ist Niedersachsen in seinem qualitativen Anspruch auf ein unteres Mittelmaß abgerutscht. LÖWE ist beliebig interpretierbar geworden (Stand des Erlassentwurfes LÖWE 2007). Langfristige Zeithorizonte in der Verfolgung dauerhaft hoher Wertschöpfung werden befristet ausgesetzt oder geraten als Maßstab für tägliche Entscheidungen zunehmend aus dem Blickfeld. Die Folgewirkungen sind jedoch langfristig und nicht immer sofort erkennbar.
  3. Die Überführung ab 2005 in eine Anstalt öffentlichen Rechts sollte die Niedersächsischen Landesforsten schrittweise an die in der Privatwirtschaft geltenden Spielregeln heranführen. Die Grundsätze privatwirtschaftlichen kaufmännischen Verhaltens müssen jedoch erst erlernt werden. Die Entwicklung des erforderlichen Maßes an Erfahrungen braucht Zeit. In der Folge dieses hektischen Übergangs haben sich in kurzer Zeit monetäre Oberziele im Denken und Handeln der täglichen Praxis entwickelt, die mit kaufmännischem Verhalten wenig zu tun haben und sich negativ auf eine langfristig angelegte ökologische Waldentwicklung auszuwirken beginnen.
  4. Verschärft wird die Entwicklung, die bereits einige Jahre vorher eingeleitet wurde, durch eine zu lückenhafte Naturaldatenbasis. Über die Vermögenswerte der Waldbestände gibt es keine hinreichende Sicherheit, weil diese wegen der Bewertungsprobleme nur mit ihrem Bodenwert in die Bilanz 2006 eingegangen sind. Entgegen der Aussagen, auf einer sicheren Naturaldatenbasis nachhaltige Nutzungsstrategien im Rahmen der Forsteinrichtung entwickeln zu können, ist es wahrscheinlicher, dass auf der derzeitigen Basis eine hinreichende Prognosegenauigkeit nicht erreichbar ist. Moderne Inventurverfahren stehen erst am Beginn ihrer Erprobung. Sie führen zu teilweise stark abweichenden Ergebnissen. Ihre Abgleichung und statistische Absicherung sowie die Ebene ihrer Anwendungsmöglichkeit können erst im Zuge von Folgeinventuren quantifiziert und in ihren ökonomischen und ökologischen Auswirkungen qualitativ bewertet werden. Die ungenügende Beachtung des Vorsorgegrundsatzes kann zu Langfristschäden führen, die zurzeit niemand einschätzen kann.
  5. Vor diesem Hintergrund sind die seit Jahren über dem festgelegten Hiebssatz der Forsteinrichtung hinausgeführten Holzeinschläge, die im Jahr 2004 sogar über dem Gesamtzuwachs lagen, durch kein betriebswirtschaftliches Argument zu begründen und zu rechtfertigen. Dabei finden die Holznutzungen einerseits unter raschem Abbau der geringen Flächenanteile alter Wälder, andererseits durch überstarke Eingriffe in die Wälder vor Eintritt in die Zielstärkenphase statt. Hiermit ist nicht nur ein erheblicher waldökologischer Substanzverlust verbunden; durch die Verringerung der nachschaffenden Zielstärken- und damit Werthöffigkeit dieser Bestände, wird das Ziel mittel- und langfristiger höchster Wertschöpfung zugunsten kurzfristiger monetärer Gewinne zur Lösung heutiger Probleme gefährdet oder bereits teilweise aufgegeben.
  6. Die Bringung großer Holzmengen in einem kurzen Zeitraum schränkt die Möglichkeiten der Schadensminimierung stark ein und führt zur erheblichen langfristig wirkenden ökologischen Belastungen in den Beständen und an den Böden. Das Instrument der Zielvorgaben ist anspruchsvoll in seiner wirkungsvollen Anwendung. Die durch unbestimmte Begriffe weit gefassten Spielräume in der Auslegung der LÖWE-Grundsätze einerseits und die strikten Ausführung monetärer Zielvorgaben andererseits, lösen in der Wahrnehmung der handelnden Personen bisher geltende nicht überschreitbare Grenzen auf. Waldbilder, die noch vor zehn Jahren Empörung in den Forstämtern ausgelöst und dienstlich geahndet worden wären, werden als Folge eines Gewöhnungsprozesses bereits als normal empfunden. Erstaunt wird registriert, dass sich Bürger, die den Wald zum Zwecke der Erholung aufsuchen, immer stärker über die Bilder entsetzen, mit denen sie konfrontiert werden. Darunter leidet nicht zuletzt die Reputation des forstlichen Berufsstandes.
  7. Wertschöpfung im Wald wird nicht auf der Grundlage von Bundeswaldinventuren, sondert der Bedingungen im einzelnen Bestand betrieben. Holz vermessen kann jeder gelernte Fortwirt. Holz verkaufen in Zeiten konjunktureller Rohstoffverknappung kann fast jede gelernte Forstfachkraft. Die Steigerung ökologischer Wertschöpfung beherrschen zurzeit nur wenige, weil das fachliche Handwerkzeug außerhalb bisheriger Berufstraditionen nur lückenhaft zur Verfügung steht. In ihren neuen Geschäftsgrundsätzen streben die Landesforsten die Entwicklung neuer Geschäftsfelder an und sehen sich als größter Anbieter von Leistungen im Umweltbereich in Niedersachsen, der die Entwicklung kreativ und innovativ mit Impulsen für die Branche antreibe. Dafür fehlen zurzeit noch die personellen und fachlichen Voraussetzungen. Diese postulierten Ansprüche sind eher ein Indiz für das traditionelle forstfachliche Bewusstsein einer Allkompetenz, die eine erforderliche Öffnung und kompetente Hinwendung zu neuen Feldern schon in der Vergangenheit erschwert hat.
  8. Nachhaltig hohe ökonomische und ökologische Wertschöpfung kann nur mit qualifiziertem, breit ausgebildetem Personal am Einzelbestand betrieben werden - eine alte waldbauliche Erfahrung. Bisher hat der kurzfristige starke Personalabbau bereits zu einer deutlich entgegengesetzten Entwicklung geführt. Mit einem weiteren personellen Abbau verschärfen sich die langfristigen Auswirkungen. Auch hier wird ein Weg beschritten, der über Verringerung des Personalkostenanteils die Geschäftsbilanz verbessern soll und dabei das langzeitökonomische Ziel einer gleich bleibend nachhaltig hohen Wertschöpfung aus den Augen verliert.
  9. Kategorisch widersprochen werden muss den Aussagen der Landesforsten in der Öffentlichkeit und im Geschäftsbericht 2005, wonach die Folgerungen aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 10. Januar 2006 zum Habitat- und Artenschutz zu erhöhten Aufwendungen führe, die nach „derzeitiger Auslegung der angestrebten Neuerungen“ auf Teilflächen eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung erheblich einschränke. Die Beachtung geltenden Rechts ist ein wesentlicher Teil der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft, zumal für den öffentlichen Wald. Dass das Urteil lediglich geltendes Recht bestätigt hat, das seit 1994 anzuwenden ist, von den Landesforsten bisher jedoch ignoriert wurde, gibt zu denken.
  10. Aus dieser Haltung heraus erwächst in den europäischen Schutzgebieten Natura 2000 ein besonderes Problem. Das Bewusstsein für die besonderen Anforderungen an die Sicherung oder Verbesserung der günstigen Erhaltungszustände dieser Gebiete ist da vorhanden, wo ein besonderes persönliches Interesse und Engagement einzelner Amts- und Revierleiter besteht. Viele Beispiele aus dem Land belegen, dass Eingriffe in die Wälder oftmals ohne Rücksicht auf die Anforderungen der guten fachlichen Praxis erfolgen. Geringes Problembewusstsein, unzureichende Rechtskenntnisse, Lücken in der Betriebkontrolle und der Fortbildung mögen wesentliche Ursachen sein. Erst nach Beginn einer öffentlich geführten Diskussion im Verlauf des vergangenen Jahres scheinen die rechtlichen Voraussetzungen eines qualifizierten Managementplanes und eine enge Abstimmung mit den zuständigen unteren Naturschutzbehörden als unumgänglich für forstwirtschaftliches Handeln in den Schutzgebietswäldern akzeptiert zu werden. Auch hier erweist sich der Modernisierungs- und Öffnungsprozess noch als sehr schwerfällig.

Schlussfolgerungen

  1. Um zu den traditionellen Stärken guter forstfachlicher Praxis zurückzukehren, sind neben einer Vielzahl nützlicher Einzelschritte nachstehende Anforderungen an Landespolitik, Landesregierung und Landesforsten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich zu stellen:
  2. Das Niedersächsische Gesetz über den Wald und die Landschaft bedarf einer Fortschreibung insbesondere der Verpflichtung, die Anforderungen der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft durch eine allgemein verbindliche Regelung guter fachlicher Praxis zu präzisieren.
  3. Das sogenannte Anstaltsgesetz ist auf die sich abzeichnenden negativen Auswirkungen in der betrieblichen Praxis hin zu überprüfen. Es ist kein Manko, Geburtsfehler zu korrigieren. Das gilt auch für die Betrachtung einer optimierten Personalstärke unter dem Aspekt der höchsten nachhaltigen Wertschöpfung.
  4. Das Regierungsprogramm zur langfristigen ökologischen Waldentwicklung (LÖWE) von 1991 ist in seiner Substanz zu erhalten. Die sich abzeichnende Verschlechterung der langzeitökonomischen und -ökologischen Substanz von LÖWE, wie sie sich im Zuge des im Entwurf befindlichen neuen Anwendungserlasses abzeichnet, darf nicht in Kauf genommen werden. Den Forstleuten vor Ort muss im Gegenteil ein verlässliches Leitbild auf der Basis von Grundsätzen und Bestimmungen vermittelt werden, das ihnen in schwierigen Umbruchzeiten eine sichere Orientierung gibt und zielkonformes Handeln ermöglicht.
  5. Die hohen Holzeinschläge der vergangenen Jahre über das langfristige ökonomische und ökologische Maß hinaus, verletzen den Nachhaltigkeitsgrundsatz und müssen sofort zurückgenommen werden, sollen die bereits absehbaren negativen Auswirkungen nicht zu weiteren Schäden führen. Bereits jetzt zeichnen sich in zahlreichen Buchen- und Eichenwäldern irreparable Folgewirkungen im Hinblick auf die Strukturentwicklung und Habitatkontinuität der Bestände ab.
  6. Schadensminimierung und Zieloptimierung an allen Schutzgütern im Rahmen einer nachhaltigen forstwirtschaftlichen Bodennutzung müssen wieder zu einer Grundlage forstlicher Handlungsethik werden, die niemand auch nur vorübergehend außer Kraft setzen darf.
  7. Die Einhaltung europäischen und nationalen Rechts zur Bewahrung des Naturerbes darf für Dienstleister der Bürger Niedersachsens keine beklagenswerte Pflicht sein, sondern muss zu einer Aufgabe werden, die man mit Freude und Begeisterung ausübt. Sie ist ein Teil ordnungsgemäßer Forstwirtschaft und nicht gegen sie gerichtet.
  8. Nur wenn Nachhaltsplanung multikriteriell umgesetzt wird, ist Wald in guten Händen.