Kreisgruppe Helmstedt

Wald-Brief 3 – 2010

„Wenn gegen unser LÖWE-Programm verstoßen werden sollte, werden wir selbst­verständlich per Erlass eingreifen und die Dinge in Gang bringen.“

Hans-Heinrich Ehlen

(Niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirt­schaft, Verbraucher­schutz und Landes­entwicklung am 14. Dezember 2004 vor dem Niedersächsischen Landtag)


Boden­zerstörung in Niedersachsens Wäldern –

das Verschweigen einer tickenden Zeit­bombe

K.-F. Weber

Sehr geehrte Leser,

das Programm zur „Lang­fristigen ökologischen Wald-Entwicklung“ – der LÖWE – wurde 1991 in dreizehn Grund­sätzen durch die nieder­sächsische Landes­regierung beschlossen.

Der Grundsatz 1 „Boden­schutz und standort­gemäße Baumarten­wahl“ beginnt mit zwei Sätzen:

„Vorrangig ist die Erhaltung bzw. Wieder­herstellung der vollen natürlichen Leistungs­kraft der Wald­böden. Sie bilden die Grundlage für gesunde, vielfältige und leistungs­starke Wälder.“

Der maßgebliche Gestalter des LÖWE und damalige Waldbau­referent im Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Hans-Jürgen Otto, hat diesen Grundsatz in seinem vorbereitenden Entwurf des Regierungs­programms bewusst an die erste Stelle gesetzt.

Böden entstehen im Laufe von Jahr­tausenden aus verwittertem Gestein und abgestorbenem organischen Material. Sie gehören zu den dichtest­besiedelten Lebens­räumen. Auf engstem Raum finden sich Hunderte verschiedene Arten von Tieren und Mikro­organismen. Ein Gramm Boden enthält bis zu 8.000 verschiedene Mikro­organismen, zwanzigmal so viele wie in einem Acker­boden (FREY, LÜSCHER 2009). Gemeinsam regulieren sie den Nähr­stoff­kreislauf und prägen die physikalische Boden­struktur. Boden­verlust und Boden­zerstörungen sind irreversibel. Böden sind somit das höchste Schutzgut, das uns in den Wäldern zur Verfügung steht und für dessen Erhalt wir Verant­wortung tragen. Sie sind Produktions­grundlage der Forst­wirt­schaft. Ihre Schädigung ist auch ein dauerhafter ökonomischer Verlust.

Boden­schutz in aller Munde

Der Niedersächsische Umwelt­minister Hans-Heinrich Sander führt im Vorwort der Broschüre „Auf den Spuren der Böden in Niedersachsen“ (2007) aus:

„Für die meisten Menschen ist der Boden etwas so Selbst­verständliches, dass sie ihn kaum noch wahrnehmen. … Der komplizierte Aufbau und die viel­fältigen Boden­funktionen sind nicht mehr allgemeines Wissensgut, sondern weitgehend nur noch Experten zugänglich. … Wir haben es in Sachen Boden­bewusstsein mit einer regel­rechten Wissens­erosion zu tun.“

Experten ? Nicht jeder fachlich Ausgebildete ist ein Experte. Boden­kundler und Ökologen in heutigen interdisziplinären Verbund­forschungen sehen sich am Beginn des Verstehens, was Waldboden sei. Umso lauter die Phrasen derer, die einer zunehmend kritischeren Öffent­lichkeit das Bild einer boden­schützenden nach­haltigen Forst­technik zu vermitteln versuchen. Wenn Hans-Heinrich Sander recht hat, geschieht das unbewusst aufgrund der „Wissens­erosion“. Wissen allein reicht jedoch nicht. Es bedarf zusätz­lich eines tragenden Affektes, eines Gespürs für die ethische Dimension des Boden­schutzes.

Wer nichts weiß, nichts erkennt und nichts empfindet, kann auch kein Problem­bewusstsein entwickeln.

Das Schweigen im Walde

Kaum ein Wald­zustands­bericht, in dem nicht ausführlich die Boden­gefährdung durch Schadstoff­einträge beschrieben wird. Aber kaum ein Wort, kaum eine Aussage zu den Auswirkungen der Forst­technik, insbesondere der Holz­bringungs­technik, im Zeichen immer schwerer gewordener Maschinen. Selbst Forst­wissenschaftler, denen das Problem sicher sehr bewusst ist, drücken sich zur Problematik der Boden­schädigung durch Befahren merkwürdig vage aus: Nach MEYER (2008) 5) sei „bezüglich der derzeitig üblichen Abstände zwischen Rücke­gassen noch Diskussions­bedarf gegeben.“ Nach SPELLMANN auf dem Buchen­wald­symposium in Göttingen 2008 „gibt es noch ein Problem“. Welches, konkretisierte er nicht. Wo bleibt das unabhängige klare Wort, auf das so viele besorgte interne und externe Akteure und Beobachter warten ?

Wo bleibt die Poltik, wo bleibt die Aufsicht des Fach­ministers ?

Was geschieht beim Befahren von Wald­böden ?

Über Regenerations­prozesse ist das Wissen derzeit noch unzureichend. Auf befahrungs­sensiblen Substraten ist noch Jahr­zehnte nach der Befahrung deren Einfluss auf den Boden­luft­haushalt zu erkennen. Befahrungs­schäden müssen als Hypothek für eine am Nachhaltigkeits­grundsatz orientierte Wald­bewirt­schaftung verstanden werden (SCHÄFFER 2002).

Physikalisch wird Boden verdichtet durch Pressung grober und mittel­feiner Poren. Die erste Über­fahrt hat den größten Effekt. Bei druck­empfind­lichen Böden (dem über­wiegenden Wald­flächen­anteil) ist eine Boden­regeneration oftmals in Jahr­zehnten bis zu einem Jahr­hundert nicht möglich. Schwere Funktions­verluste durch stark erhöhte CO2-Konzentrationen in der Boden­luft und stellen­weise sogar Schwefel­wasserstoffe und lebens­feindliche Methan­linsen sind die Folge. Ein solcher Boden ist praktisch tot und wird auch perspektivisch durch biologische Aktivität nicht mehr belebt (ERLER 2009) 4).

Wie wirkt sich die derzeitige Bringungs­technik aus ?

Der heutige auf die Harvester-Forwarder-Kombination zugeschnittene Standard­gassen­abstand von 20 Metern mit vier Metern Gassen­breite verändert den Boden unter der Gasse so stark, dass er für die biologische Produktion ausfällt (ERLER 2010) 4).

Das sind 20 % des Wald­bodens. Jede Abweichung um einen Meter bringt mehr als 5 %.

In älteren Beständen mit größerem Baum­abstand ist das die Regel. Das Einhalten der Fahr­gasse geschieht umso weniger, wenn bei nasser Witterung tiefe Spuren gefahren werden. Neue Neben­trassen sind die gewöhn­liche Folge.

Im Segment der Forwarder hat der Anteil an Maschinen mit mehr als 24 Tonnen Gewicht im beladenen Zustand über­proportional zugenommen. Die Investition in eine solche Maschine rentiert sich für den Eigen­tümer allerdings nur dann, wenn diese 150 bis 200 Tage im Jahr eingesetzt wird. Unter Wahrung des Boden­schutzes hätten solche Fors­tmaschinen allenfalls im extremen Trockenjahr 2003 rentabel betrieben werden können (MATTHIES 2009) 1).

Gassen­systeme von 20 Metern Abstand sind in der Regel neu im Zuge der aufkommenden Harvester­technologie angelegt worden. Zuvor war der 30-60 Meter-Abstand obligatorisch. In vielen Kiefern- und Fichten­jung­beständen galten in den achtziger Jahren auch Abstände von 25 Metern, als sich der Unternehmer­einsatz mit manuell arbeitenden ausländischen Akkord­kolonnen entwickelte, die das Holz manuell an die Gassen vorlieferten. Diese Abstände sind unter schematischer Betrachtung eine zusätz­liche alte Belastung durch Flächen­befahrung auf 8 bis 10 % der Wald­boden­fläche, weil sie nicht deckungs­gleich mit den heutigen Gassen­abständen sind.

Die Holz­bringung mit schwerem Gerät, in der Regel ohne Beachtung der Witterungs­bedingungen und Befahrbar­keit, galt in früheren Zeiten als ein Merkmal von Rücksichts­losigkeit, aber auch fachlicher Unfähigkeit. Sie war ein persön­licher Makel für den Revier­beamten, der unter Forst­kollegen in den Forst­ämtern Diskussions­gegenstand war. Diese Sensibilität, aus einem traditionellen Pflicht­gefühl für das anvertraute Gut geformt, scheint Vergangen­heit.

Heute kann die derzeitig wirksame Gesamt­schädigung der Wald­böden in Niedersachsen allein durch Bringungs­technik und je nach Bodenart auf 25 bis 35 % geschätzt werden. Das sind im Mittel 20 % mehr als bringungs­technisch unvermeidbar, da eine Minimierung der Boden­befahrung durch Verdoppelung der Gassen­abstände auf 40 Meter wirt­schaft­lich möglich und verhältnis­mäßig wäre. Diese Abstände sind und u. a. in den Landes­wäldern Baden-Württembergs auf empfindlichen Böden (Ton- und Lehm­böden) vorgeschrieben 2).

Die Holz­boden­fläche Niedersachsens beträgt ca. 1,1 Mio. Hektar oder 11.000 Quadrat­kilometer. Sind bei einer vorsichtigen Rechnung hiervon 800.000 Hektar bringungs­technisch durch 20 m – Gassen­abstände erschlossen, wäre unter oben hergeleiteten Kriterien das Befahren von ca. 160.000 Hektar oder 1.600 Quadrat­kilometern vermeidbar.

Das entspricht einer ungefähren Fläche vom 16-fachen des Wald­gebietes Elm bei Braunschweig. Diese Beanspruchung durch Befahren ist nicht nur eine vermeidbare Zerstörung von Boden und Lebens­raum, sondern ein betriebs­wirtschaft­licher Verlust von Produktions­fläche für mindestens 48 Mio. Fest­meter Holz­vorrat. Das entspricht einem entgangenen zusätzlichen lang­fristigen jähr­lichen Nutzungs­potenzial von mindestens 800.000 Ernte­festmetern.

In den Niedersächsischen Landes­forsten wurde der Rücke­gassen­abstand von zwanzig Metern fast vollständig umgesetzt und somit für die Harvester­technik unter Zurück­stellung anderer Kriterien optimiert. Dieser Umstand sowie die Verletzung elementarer LÖWE-Grund­sätze in der Phase stark erhöhter Holz­nutzung ab 2003 sind so augen­fällig, dass eine Diskussion in der Bevölkerung entstand, die andauert und ihren fort­gesetzten Nieder­schlag in zahllosen Presse­veröffent­lichungen im ganzen Land findet.

Nachdem auch als Folge der forst­lichen Beratung durch die Landes­verwaltungen in anderen Wald­besitz­arten (Forst­genossen­schaften, Privatwald) ähnliche Entwicklungen einsetzten, sind frühere Hemmungen aus einer alten über­kommenen haus­hälterischen Gesinnung der Wald­eigentümer in wenigen Jahren abgebaut worden. Inzwischen haben sich die Bilder in den Wäldern angeglichen. Wer die Holz­nutzungs­mengen nicht erhöht, schade seinem Wald­besitz und handele unwirtschaft­lich, so die unter­schwellige Botschaft durch die Beratung. Das Gegenteil ist der Fall.

Warum so ?

Ganzbaumnutgung im Els

Niedersächsische Landes­forsten – Forstamt Wolfenbüttel

Foto: 2007

Gassenabstand

Niedersächsische Landes­forsten – Forstamt Wolfenbüttel, Gassenabstand 16 bis 18 m

Foto: 2010

Schimmerwald

Niedersächsische Landes­forsten – Forstamt Claustal, Schimmerwald

Foto: 2008

Forstamt WW - FFH

Niedersächsische Landes­forsten – Forstamt Wolfenbüttel – FFH-Gebiet, Vogelschutzgebiet, gesetzlich geschützter Biotop, nach Betriebswerk der Forst­einrichtung keine Nutzung vorgesehen, Entnahme von Industrie­holz, Forwarder­einsatz, Abstand der Gassen 18 bis 20 Meter

Foto: 2006

Forstamt Claustal - Abt. 1002

Niedersächsische Landes­forsten – Forstamt Claustal, Abt. 1002

Foto: 2008

Danndorf

Niedersächsische Landes­forsten – Forstamt Wolfenbüttel (ehem. Forstamt Danndorf), FFH-Gebiet, prioritärer Lebensraum, Vogel­schutz­gebiet, Natur­schutz­gebiet

Foto: 2008

Kahlschlag

Niedersächsische Landesforsten – Forstamt Wolfenbüttel, FFH-Gebiet, Vogelschutzgebiet, Kahlschlag im Lebensraumtyp Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwald, ganzflächiges Befahren

Foto: 2006

FFH-Gebiet Wendhausen

Niedersächsische Landes­forsten – Forstamt Wolfenbüttel, FFH-Gebiet, Vogelvschutz­gebiet, Kahl­schlag im Lebens­raumtyp Sternvmieren-Eichen-Hainbuchen­wald, ganz­flächiges Befahren

Foto: 2006

Sturmwurf Kyrill

Niedersächsische Landes­forsten – Solling

Foto: 2007

Solling

Niedersächsische Landes­forsten – Solling

Foto: 2007

Harvester-Forwarder-Parcour

Die neue Errungen­schaft für Fitness-Übungen unserer jagd­baren Wild­arten: Der Harvester-Forwarder-Parcour – hier ein Über­läufer oder besser Über­springer

Foto: 2010

Rechtliche Beurteilung von Boden­schäden

Dass die hier exemplarisch aufgezeigten Boden­schäden keine Besonderheit darstellen, sondern betrieb­licher Alltag sind, ist in Niedersachsen belegt. Sie stellen einen Verstoß dar gegen die Bestimmungen des Wald­rechts, des Natur­schutz­rechts, der Zertifizierungs­grundvsätze von PEFC und FSC, des LÖWE und wider­sprechen den verfassungs­rechtlich verankerten Nachhaltig­keits­grundsätzen (Art. 20a GG).

Im Innen­verhältnis handelt es sich um Diens­tpflicht­verletzungen.

WAGNER (2008) 3) kommt zu dem Ergebnis, dass das Boden­schutz­recht hinter der Wald­gesetz­gebung als speziellerem Recht­sgebiet grund­sätzlich zurück­tritt. Im Jahr 2007 trat das von der EU initiierte Umwelt­schadens­gesetz in Kraft. Nach ihm sollen unter anderem Schädigungen des Bodens möglichst vermieden, jedenfalls aber sanktioniert werden. Auch dieses Gesetz entfaltet grund­sätzlich gegen­über dem Fach­recht keine größere Bedeutung für die Forst­wirt­schaft. Unter die in der Anlage 1 des Umwelt­schadens­gesetzes (USchG) genannten Tätigkeiten fallen keine forst­lichen Bewirtschaftungs­maß­nahmen.

Da sich das Niedersächsische Wald­Landschafts­gesetz vom 21. März 2002 nicht unmittelbar zur Sanierung beschädigter Böden äußert, öffnet sich allerdings gerade hier eine Lücke zugunsten des Boden­schutz­rechtes gegen­über dem sonst geltenden Vorrang des Wald­rechts.

Nach WAGNER bilden das Umwelt­schadens­gesetz und Natura 2000 eine starke Allianz. Das Umwelt­schadens­recht erfasst nämlich sämtliche Tätig­keiten und damit auch Maßnahmen der Wald­bewirt­schaftung einschließlich Wald­erschließung und Holz­ernte immer dann, wenn eine Schädigung von Arten und Lebens­räumen droht, die dem Schut­zbereich der europäischen Natura 2000-Richtlinien unterliegen. Der Schutz der Arten und Lebens­räume ist dabei nicht auf die ausgewiesenen FFH- und Vogel­schutz­gebiete beschränkt. Vielmehr bezieht er auch die außerhalb von Schutz­gebieten vorkommenden Arten- und Lebens­räume mit ein.

Sobald es daher bei der Wald­bewirt­schaftung zu negativen Rück­kopplungen zwischen Boden­beeinträchtigungen und dem Erhaltungs­zustand der im Wald vorkommenden europäisch bedeutsamen Arten und Lebens­räume kommt, sind die Vorschriften des Umwelt­schadens­rechts auch für die Forst­wir­tschaft bedeutsam und von den Wald­besitzern und Forst­unternehmern strikt zu beachten.

Den verantwortlich handelnden Menschen in den Forst­betrieben ist offenbar weit­gehend unbewusst, welche persönliche Verantwortung sie tragen, wenn sie Umwelt­schäden verursachen oder dulden und welche Schaden­ersatz­pflichten ihnen daraus erwachsen können !

Dabei ist es so einfach unter Beweis zu stellen, dass Anspruch und Wirklichkeit identisch sind und die Landesregierung durch Kontrolle im Rahmen ihrer Rechts- und Fachaufsicht diese zerstörerische Praxis beendet.

Ihr Karl-Friedrich Weber

Quellen:

1) Matthies, D. (2009): Forsttechnik unter Druck. LWF aktuell 68, S. 47 – 49.

2) Baden Württemberg: Richtlinie zur Fein­erschließung von Waldbeständen von 2003

3) Wagner, S.: Rechtliche Beurteilung von Boden­schäden in der Forst­wirt­schaft.
LWF 67/2008

4) Erler, J.: TU Dresden, Tharand: Im Gedächtnis des Bodens eingegraben.
Forst und Holz Nr. 47, 2009;
Erler, J.: TU Dresden, Tharand: Befahren: Eine tickende Zeitbombe?
Forst und Holz Nr. 1, 2010

5) Meyer, P.: Aspekte der Biodiversität von Buchen­wäldern – Konsequenzen für eine naturnahe Bewirt­schaftung, Beiträge aus der Nordwest­deutschen Forstlichen Versuchs­anstalt, Band 3.
Universitäts­verlag Göttingen 2008 - ISBN: 978-3-940344441


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